30 Jahre nach der Wende – Johannes Wenzel

Als Schabowski die Reisefreiheit verkündete, war Johannes Wenzels erster Gedanke, dass er jetzt seine Großeltern würde öfter sehen können. Diese lebten im hessischen Bad Orb und der damals 18-Jährige hatte sie immer nur bei ihren Besuchen in der DDR treffen können. Für seine Mutter sei es ebenfalls sehr belastend gewesen, ihre Eltern nur selten sehen zu können. Deshalb sei sie schon froh gewesen, wenigstens zum 80. Geburtstag und zur Goldenen Hochzeit nach „drüben“ reisen zu können. Folgerichtig führte nach der Grenzöffnung die erste Reise von Familie Wenzel natürlich zu den Großeltern. „West-Berlin habe ich mir dann alleine angeschaut“, erinnert sich Johannes Wenzel, der mit dem Zug von Görlitz, wo er damals seine Ausbildung absolvierte, in die Hauptstadt reiste. Die bunte Reklame und die Warenvielfalt hätten ihn damals sehr beeindruckt und auch einem Beate-Uhse-Shop stattete er einen Besuch ab. Gekauft hat er sich seinerzeit im Stadtteil Wedding vor allem Schallplatten.

Da Johannes Wenzels Eltern kirchlich gebunden waren, zogen sie mit ihren Kindern nach Rothenburg, wo Johannes im Martinshof, einer Einrichtung für Behinderte, aufwuchs. Das habe ihn geprägt, sagt er. Seine Kindheit sei sehr behütet gewesen. Aber in dieser besonderen Umgebung mit anders aufgestellten Menschen zu leben, habe ihm andere Sichtweisen vermittelt und gezeigt, dass nicht alles nur heile Welt ist. Die politische und religiöse Haltung seiner Eltern habe ihm zu dem gemacht, der er heute sei und dafür sei er sehr dankbar. „Man sieht vieles kritischer und hinterfragt mehr“, sagt er.

Natürlich war Johannes Wenzel wegen seines christlich geprägten Elternhauses weder in den Pionieren noch bei der FDJ. Das habe ihn in gewissem Maße zu einem Außenseiter gemacht. „Wenn du nicht regimetreu bist, bleibst du außen vor“, sagt er. Er fand es auch sehr traurig, dass seinem Bruder trotz ausgezeichneter Leistungen die Lessing-Medaille vorenthalten blieb.

Während seiner Schulzeit war Johannes Wenzel natürlich auch nicht im Wehrerziehungslager, sondern leistete stattdessen Hausmeisterdienste. Doch in seiner Ausbildung zum Koch kam er nicht umhin, an solch einem Lager teilzunehmen, wollte er nicht riskieren, die Lehre abbrechen zu müssen. Immerhin konnte er erreichen, nicht zur Waffe greifen zu müssen.

Trotz allem bilanziert Johannes Wenzel, dass es für ihn auch gute Dinge in der DDR gegeben hat. So fand er die Arbeitsgemeinschaften toll. Er nahm an Zirkeln für Schach. Leichtathletik, Schwimmen und Fußball teil. Auch die kulturellen Angebote in Rothenburg seien nicht schlecht gewesen. So konnte man für 50 Pfennige ins Kino gehen. In positiver Erinnerung behielt er den Defa-Film „Einer trage des anderen Last“ und die Asterix-Trickfilme. Sein Land zu verlassen habe für ihn niemals zur Debatte gestanden. Vor seinen Problemen könne man eh nicht davonlaufen.

Johannes Wenzel wünscht sich, dass die Menschen sich wieder mehr verstehen, sich auf Augenhöhe begegnen und die Meinung des anderen tolerieren, auch wenn sie sie nicht teilen. „Was uns entzweit, ist das Materielle“, bedauert Johannes Wenzel. Viele sehen sich an materielle Dinge angekettet, möchten nichts verlieren und können schlecht loslassen. Dabei seien es eher die kleinen Dinge, die zur Zufriedenheit beitragen. „Wir sind manchmal wie in einem Hamsterrad gefangen, da nehme ich selbst mich nicht aus“, stellt Johannes Wenzel fest. Für ihn ist es ein wichtiges Ziel, Frieden zu schaffen. Dabei müsse man bei sich selbst anfangen. Dass es auf der Welt Hass, Gewalt und Diktaturen gibt, könne er nicht beeinflussen. Aber es könne nicht sein, dass Politiker und Medien Menschen dazu aufrufen, gegen andere vorzugehen. „Menschen weigert euch, Feinde zu sein“ ist auch Johannes Wenzels Devise.

Speziell für unsere Region wünscht sich Johannes Wenzel, dass die sorbische Kultur nicht verlorengehe möge. „Das wäre ein herber Verlust“, sagt er. Und auch die Dialekte sollten gepflegt werden. Leider drehe sich heute alles um wirtschaftliche Interessen. Der Mensch stehe nicht mehr im Mittelpunkt. Dabei sei jeder Mensch ein wichtiges Zahnrädchen, und wenn dieses fehle, laufe das ganze System nicht mehr rund.