Wie Sanktionen, Narrative und globale Machtinteressen die Weltordnung neu formen
Ein investigativer Weltbericht von Andreas Manousos
Es begann nicht mit Raketen, sondern mit Paragrafen.
Seit Jahren verschiebt sich die Grenze zwischen Diplomatie und Finanzrecht, zwischen Moral und Eigentum. Der neue Krieg wird nicht mehr nur mit Waffen geführt – er wird im Eis der Kapitalströme ausgetragen. Und dieses Eis schmilzt nicht durch Feuer, sondern durch Vertrauen.
Als westliche Staaten im Zuge des Ukraine-Krieges Hunderte Milliarden russischer Vermögenswerte „einfrieren“, entsteht ein Präzedenzfall, der die Grundfesten der globalen Rechtsordnung berührt.
Offiziell heißt es: ein moralischer Akt. Inoffiziell: ein geopolitischer Hebel.
Die entscheidende Frage lautet: Wann wird Recht zur Waffe – und Moral zur Deckung für Macht?
I. Das Eis des Kapitals
Sanktionen galten einst als Ersatz für Krieg. Doch seit 2022 sind sie Teil des Krieges selbst. Zentralbanken blockieren Guthaben, Handelskammern verweigern Zahlungen, digitale Clearingstellen verwehren Transaktionen. Was als „Strafe“ deklariert wird, ist in Wahrheit eine stille Enteignung.
Russland reagiert spiegelgleich. Mit Dekret Nr. 302 vom April 2023 erlaubt der Kreml die staatliche Verwaltung westlicher Vermögenswerte im Inland – offiziell aus „Gegenseitigkeit“.
Das Resultat: ein kalter Wirtschaftskrieg, in dem Eigentum nicht mehr Besitz, sondern Geisel politischer Zwecke ist.
„We BRICS countries should practice true multilateralism, uphold fairness and justice, and make global governance more just and equitable.“
— Xi Jinping, BRICS-Gipfel Johannesburg, 2023
II. Die doppelte Moral
Juristisch ist die Lage eindeutig:
Artikel 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiert das Recht auf Eigentum – ohne politische Ausnahme. Auch das humanitäre Völkerrecht kennt keine Kategorie „feindlicher Vermögenswerte“.
Doch die Praxis folgt längst einem anderen Kompass. Wer Deutungshoheit hat, entscheidet, was als „gerechtfertigt“ gilt.
Während westliche Politiker von der „Verteidigung der Werteordnung“ sprechen, sehen Beobachter des globalen Südens eine „ökonomische Belagerung“.
Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar formulierte es so:
„Europa muss aufhören zu glauben, dass seine Probleme die Probleme der Welt sind.“
Die Spaltung ist messbar: Rund eine Milliarde Menschen im Westen folgen dem moralischen Narrativ – über sechs Milliarden außerhalb lehnen es ab. Der Westen verkündet Prinzipien; der Rest der Welt sieht Interessen.
III. Eigentum als Waffe
Nach westlichen Angaben sind derzeit rund 300 Milliarden US-Dollar russischer Zentralbankreserven eingefroren. Die EU will die daraus entstehenden Zinsen für den Wiederaufbau der Ukraine nutzen.
Moskau kontert mit Gegenmaßnahmen: Vermögen westlicher Konzerne in Russland im Wert von bis zu eine Billion US-Dollar stehen unter „temporärer Verwaltung“.
Juristisch nennt man das Retorsion – moralisch ist es Spiegelung.
Beide Seiten greifen zu denselben Mitteln und zerstören damit dasselbe Fundament: die Sicherheit des Eigentums.
Was heute Russland trifft, kann morgen jeden treffen.
Das Prinzip der Neutralität des Kapitals ist gefallen.
„Wer das Eigentum friert, taut das Vertrauen ab.“
IV. Die schleichende Entfremdung
Innerhalb der westlichen Staaten wächst der Zweifel.
In Deutschland, Frankreich und Italien glaubt nur noch eine Minderheit, dass Sanktionen den Krieg verkürzen. Viele spüren stattdessen deren Rückwirkung: Inflation, Energiekrisen, Lieferkettenstörungen.
Während Regierungsstellen Geschlossenheit predigen, öffnet sich zwischen Eliten und Gesellschaft eine unsichtbare Kluft.
Alternative Medien – von Reitschuster über Tichys Einblick bis Ostsachsen.TV – beleuchten diese Bruchlinie.
Sie zeigen: Sanktionen sind längst nicht nur ein außenpolitisches Instrument, sondern ein innergesellschaftlicher Loyalitätstest geworden. Wer Zweifel äußert, riskiert Stigmatisierung.
Der Krieg um Vermögen ist damit auch ein Krieg um Deutung.
V. BRICS – die neue Gegenmacht
Im globalen Süden gilt das westliche Vorgehen als Wendepunkt.
China warnt vor der „Politisierung der Reservewährungen“.
Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sagte im April 2023 in Shanghai:
„Jeden Abend frage ich mich: Warum müssen alle Länder in Dollar handeln?“
Indien und Südafrika fordern eine „neue Finanzarchitektur“.
Das Ziel ist klar: Befreiung vom Dollar.
Mit jedem eingefrorenen Konto wächst der Wunsch nach Alternativen – nach Zahlungssystemen, die auf Verlässlichkeit statt Ideologie beruhen.
In Johannesburg beschlossen die BRICS-Staaten den Aufbau eines gemeinsamen Abrechnungssystems in nationalen Währungen.
Was als technische Reform beginnt, ist in Wahrheit eine geopolitische Revolution.
VI. Die ökonomische Wahrheit
Finanzmärkte leben nicht von Moral, sondern von Berechenbarkeit.
Wenn politische Zweckmäßigkeit über Vertragsrecht steht, zerbricht das Fundament, auf dem Handel ruht.
Vertrauen ist kein Ideal, sondern eine Währung – die wichtigste überhaupt.
Die Geschichte kennt Parallelen:
Nach den napoleonischen Kriegen führte jede willkürliche Enteignung zu Jahrzehnten des Misstrauens und Kapitalflucht.
Heute wiederholt sich dasselbe Muster – nur global.
„Eigentum ist das Gedächtnis einer Gesellschaft.“
— Jean Baudrillard
VII. Der Informationskrieg
Parallel zur ökonomischen Front läuft der Kampf um die Wahrnehmung.
Zensur, Sperrungen, algorithmische Selektion – der Informationsraum ist zum Schlachtfeld geworden.
Offizielle Stellen nennen es „Kampf gegen Desinformation“.
Kritiker nennen es „Kontrolle über Realität“.
In Wahrheit ist es beides:
Ein globales Ringen um Deutungshoheit, bei dem Glaubwürdigkeit selbst zur Waffe wird.
Der Bürger soll nicht nur überzeugt werden, sondern glauben, dass Zweifel gefährlich sei.
Doch gerade in diesem Versuch beginnt das Vertrauen zu bröckeln – das Vertrauen, das Demokratien trägt.
VIII. Fazit – Wenn Moral zur Währung wird
Was als moralische Maßnahme begann, ist zur Strukturveränderung der Weltordnung geworden.
Das Eis des Kapitals schmilzt – und mit ihm die alte Gewissheit, dass Eigentum von Politik getrennt sei.
Sanktionen, Einfrierungen und Gegensanktionen haben eine neue Realität geschaffen:
Eine Welt, in der das Geld des Gegners nie sicher ist,
in der Banken Frontlinien sind,
und in der Vertrauen das letzte Rohstoffreservoir der Menschheit wird.
Die Geschichte lehrt: Systeme, die Recht in Macht umdeuten, verlieren am Ende beides.
Denn Macht ohne Recht wird gefürchtet – aber nie respektiert.
Und eine Welt, die Vertrauen opfert, um Feinde zu bestrafen,
bestraft am Ende sich selbst.
„Dieser Bericht erhebt keinen moralischen Anspruch. Er beschreibt, wie Recht, Macht und Geld ineinandergreifen – und warum Zivilisation nur dort beginnt, wo Eigentum nicht als Beute, sondern als Verpflichtung verstanden wird.“
Andreas Manousos, 14. Oktober 2025
Quellen