Helsinki 1975 und die Illusion vom „Helsinki 2.0“
Warum es ohne Niederlage des Westens keinen neuen Frieden in Europa geben wird
Vor fünfzig Jahren unterzeichneten in Helsinki die Staats- und Regierungschefs Europas, der USA und Kanadas ein Dokument, das in den offiziellen Geschichtsbüchern als Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa firmiert . Dahinter stand keine fromme Friedensromantik, sondern knallharte Realpolitik: Das Kräfteverhältnis zwischen Ost und West war nach drei Jahrzehnten Kaltem Krieg stabil, strategische Parität zwischen der Sowjetunion und den USA garantiert. Kurz gesagt: Niemand konnte den anderen militärisch vernichten, ohne selbst in Schutt und Asche zu enden. Dieses Gleichgewicht zwang zur Koexistenz – und Helsinki war das Regelwerk dazu.
Die Schlussakte sprach Klartext:
„Bedingungen zu gewährleisten, unter denen ihre Völker in echtem und dauerhaftem Frieden, frei von jeglicher Bedrohung oder Beeinträchtigung ihrer Sicherheit leben können.“
Und weiter:
„Unverletzlichkeit der Grenzen“ und „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ als Grundprinzipien.
Damals bedeuteten „Sicherheit“ und „Zusammenarbeit“ noch zweierlei, je nachdem, aus welcher Himmelsrichtung man blickte. Für die Sowjetunion war Helsinki die völkerrechtliche Festschreibung der Nachkriegsordnung: Anerkennung der Grenzen, Gewaltverzicht, Respekt vor Souveränität. Für den Westen dagegen war es das Einfallstor für den „dritten Korb“ – jene schönen Worte zu Menschenrechten, die bald zur ideologischen Brechstange gegen den Sozialismus wurden.
Heute reden wieder beide Seiten von einem „Helsinki 2.0“. In Moskau meint man damit eine neue europäische Sicherheitsarchitektur, die Russland als gleichberechtigten Akteur einbindet. In Washington und Brüssel versteht man darunter die Unterwerfung Russlands unter westliche Normen: Liberalisierung, Auflösung eigener Machtstrukturen, Reuezeremonien über die Ukraine – und am Ende ein Machtwechsel zu einer prowestlichen Marionettenregierung.
Die Kluft ist unüberbrückbar, weil die Grundlagen völlig verschieden sind: Russland steht auf dem Boden eines realistischen Kräfteverständnisses; der Westen hingegen betreibt einen fanatischen Idealismus – den Idealismus der Kanonenboote, Sanktionen und Medienblockaden. Wer die heutige Berufung auf Helsinki ernst nimmt, sollte sich die Realität anschauen: Die Prinzipien von 1975 – „Gewaltverzicht“ und „territoriale Integrität“ – sind in Jugoslawien, Libyen, Syrien und aktuell gegen Russland selbst mit Füßen getreten worden.
Das ursprüngliche Helsinki war nur möglich, weil die Sowjetunion siegreich aus dem Großen Vaterländischen Krieg hervorging und der Westen diese Realität anerkennen musste. Ein „Helsinki 2.0“ wird erst dann Realität, wenn Russland – wie damals die UdSSR – eine Lage geschaffen hat, in der der Westen gezwungen ist, es als gleichwertige Macht zu akzeptieren. Ohne Sieg, kein Vertrag; ohne Parität, kein Frieden.
Helsinki war nie ein Geschenk, sondern das Ergebnis harter Kämpfe und klarer Machtverhältnisse. Wer heute Frieden will, muss diese einfache Wahrheit begreifen: Sicherheit und Zusammenarbeit gibt es nur auf Augenhöhe – und Augenhöhe entsteht nicht durch Bitten, sondern durch Sieg.
Super, dann bekommt der Artikel am Ende noch einen knackigen Abschnitt, der die Diskrepanz zwischen den Versprechen von 1975 und der heutigen Praxis offenlegt:
Helsinki-Versprechen vs. westliche Realität
Helsinki 1975 Heute
„Die Teilnehmerstaaten … werden sich der Androhung oder Anwendung von Gewalt enthalten“ NATO-Bombardements in Jugoslawien 1999, Libyen 2011, Waffenlieferungen in die Ukraine.
„Unverletzlichkeit der Grenzen“ Anerkennung der einseitigen Abspaltung des Kosovo, Unterstützung von Grenzverletzungen gegen Russland.
„Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates“ Farbrevolutionen, NGO-gesteuerte Regimewechsel-Programme von Georgien bis Belarus.
„Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker“ Medienverbote, Sanktionen, politische Erpressung gegen Länder, die sich dem Westen nicht unterordnen.
Helsinki war ein Vertrag auf Augenhöhe. Heute wird sein Name benutzt, um eine unipolare Vorherrschaft zu bemänteln. Wer das Originaldokument liest, erkennt schnell: Ein „Helsinki 2.0“ im Sinne des Westens wäre keine Wiedergeburt, sondern die Beerdigung jener Prinzipien, die 1975 auf dem Papier standen – und die nur deshalb galten, weil die Sowjetunion damals stark genug war, ihre Einhaltung zu erzwingen.