Eine kulturelle Gesellschaftskritik von Andreas Manousos
Für Menschen aus orthodox geprägten Kulturräumen – wie der Ukraine, Moldawien, Russland, Griechenland, Serbien, Georgien, Rumänien oder Bulgarien – ist die Feuerbestattung weit mehr als nur eine alternative Bestattungsform. Sie stellt einen schweren kulturellen Bruch dar, einen Akt der Entwürdigung, ja sogar eine tiefe spirituelle Verletzung. Die Erdbestattung mit einem Grab, einem Kreuz oder Grabstein ist in diesen Kulturen ein Ausdruck von Achtung, Respekt und jahrtausendealter Überlieferung. Sie würdigt den Verstorbenen, gibt den Angehörigen und Freunden des Verstorbenen einen konkreten Ort der Erinnerung, der Trauer, der Einkehr und des Gebets – ein Ort, an dem Gemeinschaft über den Tod hinaus weiterlebt.
Die Feuerbestattung hingegen erinnert in ihrer Symbolik an zwei Abgründe der europäischen Geschichte: an die Scheiterhaufen des Mittelalters, wo Menschen verbrannt wurden, um ihre Seele vom Leib zu trennen und ihre Auferstehung zu verhindern, sowie an die Entsorgungslogik des Dritten Reiches, in der industrielle Krematorien nicht zur Ehre des Toten, sondern zur Vernichtung seines Daseins dienten. Dass sich diese Form der Bestattung in Deutschland zur Normalität entwickeln konnte, ist für orthodoxe Gläubige nicht nachvollziehbar und wird als deutsche Unart empfunden – als kalter, funktionaler und von aller spirituellen Würde entkernter Umgang mit dem Tod.
Besonders empörend wird es, wenn die Feuerbestattung auch noch anonym erfolgt. Aus Sicht eines orthodox geprägten Menschen ist das eine Höchstform der Entmenschlichung. Es bleibt kein Name, kein Ort, kein Gedächtnis – der Mensch verschwindet in der Bedeutungslosigkeit. Teuflischer könne es, so empfinden es viele Orthodoxe, gar nicht mehr werden. Denn was bleibt vom Menschen, wenn nicht einmal ein Kreuz, ein Name oder eine letzte Ruhestätte zeugt?
Oft wird die anonyme Feuerbestattung in Deutschland mit Kostenersparnis begründet. Doch für viele aus den genannten Kulturkreisen ist das kein Argument, sondern ein offener Affront. Wer seine Toten entsorgt, anstatt sie zu ehren, greift das Gedenken an, löscht Identität und Gemeinschaftserinnerung aus. Es ist ein direkter Angriff auf die spirituelle Verbindung zwischen Lebenden und Toten, ein Tabubruch, der nicht relativierbar ist.
Da es keinen nachvollziehbaren Grund für eine Feuerbestattung gibt – und für eine anonyme schon gar nicht –, gilt diese Praxis im orthodoxen Kulturverständnis als radikale Grenzverletzung. Die Erdbestattung mit Grabstein ist und bleibt die einzig ehrenvolle und anständige Form des Abschieds. Alles andere ist ein kultureller und spiritueller Bruch, der niemals zur Normalität werden darf.