Das blaue Wunder – Der Spix-Ara ist zurück, doch sein Überleben entscheidet sich jetzt

Von der Rettung im Loro Parque zum Masterplan für eine echte Wildpopulation in Brasilien

Von Andreas Manousos

Der Spix-Ara, dieses leuchtend blaue Juwel Brasiliens, galt im Jahr 2000 in freier Wildbahn als ausgelöscht. Menschen waren Täter und Retter zugleich: Abholzung und illegaler Handel ließen ihn verschwinden, internationale Zuchtprogramme hielten im Verborgenen einen Restbestand am Leben. Zwei Jahrzehnte später begann das Comeback – das Lied des Spix-Ara erklingt wieder über der Caatinga. Doch die Wahrheit ist zweischneidig: Es ist ein Wunder mit Warnschild.

Ein Kapitel Popkultur trug maßgeblich zur weltweiten Aufmerksamkeit bei: Der Animations-Zweiteiler Rio (2011) und Rio 2 (2014) machte den Spix-Ara – als Filmfiguren Blu und Jewel – zum globalen Hoffnungssymbol. Während der Vogel in freier Wildbahn bereits verstummt war, hielten diese Filme seine Geschichte lebendig, mobilisierten Aufmerksamkeit und Spendenbereitschaft und bereiteten damit den Boden für die späteren Rückkehrprogramme.

Im Zentrum dieser Rettungsgeschichte stehen zwei Deutsche. Dr. h.c. Wolfgang Kiessling gründete auf Teneriffa den Loro Parque und baute mit seiner Stiftung ein global beachtetes Refugium für bedrohte Papageien auf. An seiner Seite wirkte Dr. Matthias Reinschmidt, promovierter Biologe und langjähriger Zuchtchef sowie zoologischer Direktor des Loro Parque. Er koordinierte Zuchtpaare, überwachte Brutzyklen, führte akribische Genetik-Register – kurz: Er bewahrte die fragile Blutlinie des Spix-Ara, bis sie wieder flugfähig wurde.

Nach jahrelanger Vorbereitung wurden 2020 insgesamt 52 Spix-Aras nach Brasilien überführt, um sie vor Ort auf die Freiheit vorzubereiten. 2022 folgte die Freilassung von rund 20 Vögeln in zwei Wellen (Juni und Dezember). Unterstützend wurden 15 Blauflügelaras als „Sozial- und Flugtrainer“ eingesetzt, um Schwarmverhalten und Nahrungssuche zu stabilisieren. Die erste Bilanz: Etwa 58,3 Prozent überlebten das erste Jahr – für Re-Intros ein bemerkenswert guter Wert, für eine Art am Abgrund dennoch schmerzhaft, denn Verluste wiegen hier doppelt. 2023 gelang, was jahrzehntelang unmöglich schien: die erste erfolgreiche Brut in Freiheit. Heute fliegen schätzungsweise rund ein Dutzend Spix-Aras frei; in Menschenobhut existieren weltweit etwa 160–200 Tiere. Das Comeback ist real – aber zerbrechlich.

Warum starben zu viele? In der Caatinga sind Habichte und Falken natürliche Gegner. Vögel, die jahrzehntelang ohne Feindkontakt aufwuchsen, fehlen Flucht- und Deckungsroutinen; dazu kommen Krankheiten, knappe Ressourcen einer trockenen Landschaft und Orientierungsprobleme. Die Kernerkenntnis: Ohne Wildnis-Kompetenz wird jede Auswilderung zum riskanten Spiel.

Was jetzt passieren muss, ist groß – und klar. Erstens: Trainieren, bevor freigelassen wird. Anti-Prädator-Drills (simulierte Greifvogelangriffe), Futter- und Navigationstraining, „Flugschule“ in großen, strukturierten Freiluftgehegen des Zielhabitats sowie strenge Gesundheits- und Telemetrieprotokolle. Zweitens: nicht kleckern, sondern klotzen. Ein Großschwarm von 400–500 zuvor trainierten Spix-Aras würde auf einen Schlag soziale Stabilität, ausreichende Partnerwahl und eine genetisch tragfähige Basis schaffen. Schwarmvögel sind Wissensspeicher: In einem großen Verband verbreiten sich sichere Verhaltensweisen viral – Warnrufe, Routen, Futterplätze. Ein Dutzend Vögel kann das kaum leisten, ein Großschwarm schon.

Drittens: satellitengestützte Bewachung gegen Nestdiebe. Spix-Aras erzielen auf dem Schwarzmarkt sechsstellige Summen; Drohnen, Wärmebild und GPS könnten Nester binnen Stunden lokalisieren. Die Antwort muss technik- und einsatzstark sein: hochauflösende Optik- und SAR-Satelliten zur Mustererkennung (neue Pisten, Lager, Schneisen), Thermalsensorik für nächtliche Aktivitäten, dynamisches Geofencing um aktive Nester, Datenfusion mit Drohnen-Live-Streams, Kamerafallen, Akustiksensoren (Motoren, Kettensägen) und Bodenseismik an Zufahrten. Eine 24/7-Leitstelle koordiniert „Detect–Decide–Act“: Drohne in Minuten, Ranger in unter einer halben Stunde. Zero-Trust-IT, verschlüsselte Nestkoordinaten, gerichtsfeste Beweisketten, harte Strafandrohung, Vermögensabschöpfung – flankiert von lokaler Einbindung (Ranger aus Gemeinden, Hinweisprämien, Aufklärung, legale Erwerbsalternativen). Ziel: Null Verluste durch Nestdiebstahl.

Viertens: Prädatorenmanagement – differenziert und befristet. Gefährdete Räuber bleiben tabu. Nicht gefährdete Arten können – eng begrenzt und fachlich begründet – umgesiedelt oder reduziert werden, solange der Bestand der Spix-Aras klein ist und Anti-Prädator-Verhalten noch nicht greift. Sobald der Großschwarm stabil ist, gehört das Gleichgewicht vollständig der Natur.

Fünftens: skalierter Schutzkorridor statt Punktmaßnahme. Mehrere gesicherte Freilassungszonen innerhalb eines miteinander verbundenen Korridors verringern Klumpenrisiken, verteilen Prädationsdruck und erleichtern genetischen Austausch. Kontinuierliches Monitoring (Telemetrie, Feldteams) steuert Reproduktion, Mortalität und Ausbreitung in Echtzeit – und liefert die Datenbasis für Anpassungen.

Ehre, wem Ehre gebührt: Ohne die Pionierarbeit von Dr. h.c. Wolfgang Kiessling und Dr. Matthias Reinschmidt – ohne Finanzierung, Zuchtkompetenz und Ausdauer – gäbe es keine zweite Chance. Doch die Geschichte ist nicht zu Ende. Jetzt braucht es den Mut zur großen, klaren Lösung: Training + Großschwarm + Satellitenschutz + befristetes Prädatorenmanagement. Dann wird aus der schönen Nachricht eine dauerhafte Realität.

Für uns als Papageienliebhaber ist das mehr als Statistik. Es ist ein Herzenswunsch, der Wirklichkeit geworden ist – und eine Verpflichtung. Der blaue Vogel singt wieder. Sorgen wir dafür, dass er nie mehr verstummt.

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