David gegen zwei Goliaths: Griechenlands „Nein“ in der Stunde der Wahrheit

Wie ein kleines Land dem Faschismus trotzte – und was wir daraus lernen müssen

28. Oktober – der OXI (Ochi) Tag! Eine historisch-mahnende Einwertung von Andreas Manousos

Am 28. Oktober 1940, exakt vor 85 Jahren, klopfte gegen 3 Uhr morgens der italienische Botschafter Emanuele Grazzi an die Tür des griechischen Premierministers Ioannis Metaxas in Athen. In seiner Hand hielt er ein Ultimatum des italienischen Diktators Benito Mussolini: Griechenland solle den italienischen Truppen freien Durchmarsch gewähren, um angeblich „strategische Punkte“ zu besetzen – andernfalls werde Italien den Angriff eröffnen.

Metaxas, noch im Schlafanzug, las das Ultimatum, blickte Grazzi fest an und antwortete mit den berühmten Worten: „Alors, c’est la guerre!“ – „Dann ist es Krieg.“ Dieses kurze, entschlossene „Nein“ – ΟΧΙ („Ochi“) – des kleinen Griechenlands markierte den Beginn eines beispiellosen Akts nationalen Widerstands gegen die faschistische Aggression.

Mussolinis Überfall und Griechenlands „Οχι!“

Benito Mussolini war kein reiner Nationalist, sondern ein Abtrünniger des Marxismus, der aus der italienischen Sozialistischen Partei (PSI) hervorging und sich später zum linken Faschisten wandelte. Seine politische Ideologie blieb tief im revolutionären Denken des Marxismus verankert – die Vorstellung einer „neuen Gesellschaft“ durch totalitäre Gewalt, vereint mit einem sozialistischen Wirtschaftsmodell unter staatlicher Kontrolle. Historiker wie Emilio Gentile, Renzo De Felice und Zeev Sternhell bezeichnen Mussolini daher als denjenigen, der den „linken Totalitarismus in nationaler Form“ erfand – eine ideologische Brücke zwischen Lenin und Hitler. Auch Lenin selbst hatte Mussolini vor dem Ersten Weltkrieg in italienischen Arbeiterzeitungen gelesen, wo dieser den „revolutionären Krieg“ als Mittel der Umgestaltung predigte.

Aus diesem Denken heraus entstand Mussolinis Diktatorenwahn: Er sah sich als Erneuerer Roms, als modernen Caesar. Sein Traum war ein neues Imperium vom Mittelmeerraum bis Persien, ein „neues Rom“ – ein Wahn, gespeist aus denselben linken Größenfantasien, die auch Lenin und Hitler antrieben: die Vorstellung, ein Volk oder eine Klasse durch Zwang, Blut und Krieg zur Weltherrschaft zu führen.

In einem Brief an Hitler verglich Mussolini Griechenland mit Norwegen – so wie die Deutschen Norwegen überrannt hatten, müsse Italien nun Griechenland erobern, „damit es nicht dem gleichen Schicksal entkommt. Öffentlich suchte er Vorwände: Rom behauptete, Griechenland bedrohe die italienische Besatzung Albaniens oder kollaboriere mit Großbritannien. In Wahrheit aber ging es um Macht, Prestige und imperialistische Hybris – um den Versuch, in Hitlers Schatten nicht als kleiner Bruder zu erscheinen, sondern als gleichrangiger Diktator.

Mussolini glaubte an einen leichten Sieg in wenigen Tagen gegen das vermeintlich unterlegene Griechenland (history.com). Doch er unterschätzte fatal den Mut, die Wehrhaftigkeit und die patriotische Entschlossenheit des griechischen Volkes.

Am selben Tag, dem 28. Oktober 1940, marschierten italienische Truppen von ihrem besetzten Albanien aus in Griechenland ein. Doch schon nach wenigen Tagen zeigte sich die Fehleinschätzung des faschistischen Diktators: Die griechische Armee – statt der erwarteten 30 000 Mann mobilisierten die Griechen rund 230 000 Soldaten – leistete in den schneebedeckten Bergen des Epirus erbitterten Widerstand.

Bereits nach einer Woche waren die italienischen Angreifer gestoppt und zurückgeworfen. Die Griechen drängten die Invasoren über die albanische Grenze zurück – ein militärisches Wunder, das Europa erstaunte: Zum ersten Mal hatte eine Achsenmacht im Zweiten Weltkrieg eine Niederlage erlitten. Griechenland, das erst ein Jahrhundert zuvor seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich errungen hatte, schrieb erneut Geschichte.

Der italienische Angriff von Albanien aus wurde abgewehrt, und die Griechen gingen zum Gegenangriff über, stießen tief in das italienisch besetzte Albanien vor. Im Januar 1941 eroberten sie den strategisch wichtigen Kleisura-Pass auf albanischem Boden. Mussolinis Armee, großspurig als „Zug nach Athen“ angekündigt, war nun selbst in den Bergen Albaniens eingeschlossen – und verwandelte sich in eine verzweifelte Verteidigungsarmee.

Während italienische Einheiten im Morast der Regenzeit versanken und ihre Front in Schnee und Kälte ausharrte, rückten die Griechen unerbittlich vor (historynet.com). Italiens Prestige wankte; Mussolini sah sich gezwungen, Marine und Luftwaffe massiv einzusetzen. Doch selbst dort errangen die Alliierten Erfolge: Ein britischer Luftangriff zerstörte im November 1940 die Hälfte der italienischen Flotte im Hafen von Tarent – ein Desaster, das auch in Tokio studiert wurde und später als Vorbild für Pearl Harbor diente.

Die griechischen Soldaten kämpften mit beispielloser Tapferkeit und Opferbereitschaft. „Wir werden sie ins Meer jagen! Vorwärts nach Rom!“ riefen Bauern, Fischer und Studenten, die in klapprigen Lastwagen mit Blumen an den Gewehrläufen an die Front fuhren. Mit Bajonetten, Messern und bloßen Händen stürzten sich die Evzonen, die griechischen Gebirgsjäger, auf faschistische Elitetruppen. Zeitzeugen berichteten, italienische Gefangene hätten sogar Bisswunden am Hals gehabt – Symbol des unbändigen Willens eines Volkes, das lieber starb, als sich zu unterwerfen.

Dieses erstaunliche Kapitel der Geschichte zeigte der Welt: Hier kämpfte ein kleines, stolzes Volk für seine Freiheit, seine Würde und seine Demokratie – und trotzte einer hochgerüsteten Großmacht, die im Namen eines linkssozialistischen Totalitarismus glaubte, Geschichte schreiben zu können.

Hitlers Eingreifen und die verzögerte Vergeltung

Mussolinis Feldzug gegen Griechenland war binnen weniger Wochen zum Debakel geworden. Der vermeintlich leichte Sieg, der Italien zur Großmacht erheben sollte, endete in einer Katastrophe. Im Dezember 1940 war die Lage so kritisch, dass Mussolini gezwungen war, seinen Bündnispartner Adolf Hitler um Hilfe zu bitten.

Hitler, selbst ideologisch aus dem gleichen kollektivistischen Denken geboren, war vom Alleingang des Duce zunächst irritiert. Wie Mussolini verstand auch er den Staat als revolutionäres Werkzeug totaler Kontrolle. Beide sahen sich als Erlöserfiguren, die durch Krieg eine neue Weltordnung schaffen wollten. Ihre Ideologien waren Spielarten desselben totalitären Prinzips – der Zwang, Geschichte durch Gewalt zu formen.

Hitler beobachtete den griechischen Widerstand mit wachsender Sorge (yumpu.com). Er fürchtete zwei Dinge: Erstens, dass die Briten in Griechenland Fuß fassen und von Athen aus die deutschen Ölquellen in Rumänien bedrohen könnten. Zweitens, dass ein unbesiegtes Griechenland den Balkan blockieren und damit den geplanten Überfall auf die Sowjetunion gefährden würde.

Am 13. November 1940 erließ Hitler die Weisung Nr. 20, Deckname „Marita“ – den Befehl zur Invasion Griechenlands. Während Mussolini im März 1941 noch eine letzte, erfolglose „Frühlingsoffensive“ in Albanien startete, bereitete Hitler seine Balkanoperation vor. Am 6. April 1941 griffen deutsche Truppen, unterstützt von ungarischen, bulgarischen und italienischen Verbänden, gleichzeitig Griechenland und Jugoslawien an.

Die Wehrmacht verfügte über modernste Waffen und Panzerverbände. Die griechische Armee, nach Monaten des Kampfes erschöpft, war zahlenmäßig deutlich unterlegen. Britische und Commonwealth-Truppen aus Australien, Neuseeland und Palästina kamen zu Hilfe, konnten das Kräfteverhältnis jedoch nicht ausgleichen.

Trotzdem leisteten die Griechen hartnäckigen Widerstand. An der Metaxas-Linie an der bulgarischen Grenze kämpften die Garnisonen bis zuletzt und kapitulierten oft erst, als sie vollständig abgeschnitten waren (en.wikipedia.org). In den Thermopylen hielten australische und neuseeländische Einheiten den deutschen Vormarsch kurzfristig auf. Am 27. April 1941 marschierten deutsche Truppen in Athen ein und hissten das Hakenkreuz auf der Akropolis. Griechenland kapitulierte zunächst nur gegenüber Deutschland, nicht gegenüber Italien.

Mussolinis Soldaten blieben von den Griechen verachtet; erst später übergab Hitler Italien die Verwaltung großer Teile Griechenlands (en.wikipedia.org). Selbst Hitler musste den Mut der Griechen anerkennen und sprach im Reichstag von ihrem „äußerst tapferen Widerstand“.

Der Preis war hoch: Zehntausende Griechen starben, doch sie hatten der Welt gezeigt, dass der Faschismus nicht unbesiegbar war. Winston Churchill soll gesagt haben:

„Künftig wird man nicht mehr sagen, die Griechen kämpften wie Helden – sondern Helden kämpften wie Griechen.“

Ob das Zitat authentisch ist oder nicht, ändert nichts an seiner Wahrheit. Griechenlands Haltung stärkte den Glauben, dass Mut und Ehre den Totalitarismus überdauern können.

Der griechische Widerstand hatte auch strategische Folgen. Hitler musste Truppen und Material vom Angriff auf die Sowjetunion abziehen, um Mussolini zu retten (history.com). Die Eroberung Jugoslawiens und Griechenlands verzögerte die Operation „Barbarossa“ um etwa fünf Wochen.

Anstatt bereits im Mai 1941 vorzurücken, begann der Ostfeldzug erst am 22. Juni. Diese Verzögerung wurde entscheidend. Vor Moskau setzte früh der Winter ein; Temperaturen von minus 30 Grad ließen Fahrzeuge und Waffen ausfallen, Treibstoff fror ein, Zehntausende Soldaten erlitten Erfrierungen. Ende November 1941 lagen mehr deutsche Soldaten mit Frostschäden als mit Kampfwunden in den Lazaretten.

Hitler selbst gab später Mussolinis „griechischem Fiasko“ die Schuld für den Fehlschlag. 1945 klagte er: „Wäre ich ein paar Wochen früher aufmarschiert, wäre Moskau gefallen“. Viele Historiker sehen darin eine Rechtfertigung, doch sie bestätigt, wie sehr der Balkan-Feldzug seine Pläne durchkreuzte.

Griechenland hatte den Achsenmächten wertvolle Zeit abgerungen – Zeit, die den Verlauf des Krieges änderte. Ein kleines Volk hatte durch Mut und Opferbereitschaft die Maschine des Totalitarismus ins Stocken gebracht. Der griechische Widerstand wurde so zu einem stillen Wendepunkt in der Geschichte.

Verrat an Idealen – Ideologie ohne Gewissen

Die nationalsozialistische Besatzung Griechenlands gehörte zu den brutalsten Episoden des Zweiten Weltkriegs. Besonders die deutschen Gebirgsjäger, die als Elite galten, hinterließen auf dem Festland und auf den Inseln eine Spur von Blut und Terror. Dörfer wurden niedergebrannt, Zivilisten ohne Verfahren erschossen, ganze Familien ausgelöscht.

Ein besonders grausames Beispiel ereignete sich auf Euböa (Evia). Dort trieben deutsche Soldaten an einem Tag die Männer auf der Straße zusammen, wählten willkürlich einen Mann aus und erschossen ihn vor den Augen aller anderen – zur Einschüchterung der Bevölkerung. Dieser Mann hieß Georgios Kapenekas – ein Vater von sechs kleinen Kindern, ein Künstler, dessen Steinmetzarbeiten und Ornamente bis heute viele orthodoxe Kirchen Griechenlands zieren. Er hatte ihre Reliefs und Verzierungen eigenhändig in die Steine gemeißelt, als Zeichen des Glaubens und der Schönheit. Er war mein Großvater.

Nach seiner Ermordung musste meine Mutter, damals erst neun Jahre alt, die Schule abbrechen, um die Familie zu ernähren. Die beiden jüngsten Kinder, meine Tante Ioanna und mein Onkel Konstantinos, kamen in ein staatliches Internat. Bis heute hat sich der deutsche Staat für diese feige und sinnlose Tat nicht entschuldigt.

Diese Geschichte steht stellvertretend für tausende griechische Familien, die durch die nationalsozialistische Besatzung unermessliches Leid erfuhren.

Ironischerweise war Griechenland dem deutschen Volk einst näher, als es die Nazis je anerkannten. Seit 1832 hatte das unabhängige Griechenland eine königliche Dynastie, die ursprünglich bayerisch-deutscher Abstammung war: Prinz Otto von Wittelsbach, der Sohn des bayerischen Königs Ludwig I., bestieg als Otto I. den griechischen Thron. Griechenland war also einst von einem Deutschen regiert worden – dennoch zeigte das „Dritte Reich“ keine Spur von Loyalität oder kultureller Achtung.

Berlin hatte zuvor die griechische Antike in höchsten Tönen verehrt. Hitlers Architekten orientierten sich am klassisch-griechischen Stil, die nationalsozialistische Propaganda inszenierte Rituale, Fackelläufe und Symbolik nach antiken Vorbildern. Berühmt ist etwa der Fackellauf der Olympischen Spiele, den die Nazis 1936 erfanden, um eine vermeintliche „arische Erbfolge“ vom antiken Griechenland bis ins Dritte Reich zu konstruieren.

Doch diese symbolische Verehrung hinderte sie nicht daran, das reale Griechenland 1941 zu überfallen, auszurauben und zu knechten. Dieses Verhalten entlarvte den moralischen Kern des Nationalsozialismus: Es fehlte an Gewissen und Menschlichkeit.

Das „nationalsozialistische“ Deutschland war in Wahrheit eine ideologische Spielart desselben totalitären Denkens, das auch den Kommunismus, Sozialismus und Faschismus prägte. Alle diese Systeme ordneten das Individuum einer angeblich höheren Idee unter – und erklärten Gewalt und Unterdrückung zum Mittel der Erlösung.

So schloss das Dritte Reich sogar zynische Bündnisse mit Kräften, die seiner eigenen Rassenideologie widersprachen. Der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, kollaborierte mit Hitler, rief im Rundfunk zum Dschihad gegen die Alliierten auf und half bei der Rekrutierung muslimischer SS-Einheiten. In Bosnien entstand die Division „Handschar“, eine Truppe muslimischer Freiwilliger unter SS-Führung. Auch im besetzten Griechenland suchten die Achsenmächte örtliche Helfer: Teile der albanischen Minderheit in Epirus wurden als Hilfstruppen gegen die griechische Bevölkerung eingesetzt.

Diese opportunistischen Allianzen offenbaren das moralische Vakuum des Nationalsozialismus. Eine Ideologie, die von „Reinheit“ sprach, paktierte bedenkenlos mit jenen, die sie in ihrer Lehre als minderwertig bezeichnete.

Die Nationalsozialisten predigten vom „Übermenschen“, doch sie handelten wie Barbaren. Sie behaupteten, die Kultur der Antike zu bewahren, und zerstörten ausgerechnet das Land, das die Begriffe DemokratiePhilosophie und Menschenwürde hervorgebracht hatte.

Die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts – Kommunismus, Sozialismus, Faschismus, Nationalsozialismus und Nationalkommunismus – verband ein gemeinsames Muster:
Sie alle opferten die Menschlichkeit einer abstrakten Idee.
Sie alle glaubten, im Namen einer höheren Wahrheit handeln zu dürfen.
Und sie alle endeten im gleichen moralischen Abgrund.

Griechenland wurde unter der nationalsozialistischen Besatzung zu einem stillen Mahnmal dafür, was geschieht, wenn Macht über Moral steht. Wer die Tempel der Vernunft verehrt, darf nicht die Menschen vernichten, die sie einst erbauten.

Haltung zeigen – Lehren für die Gegenwart

Warum ist das alles heute von Bedeutung? Weil sich Geschichte zwar nicht wiederholt, aber in beunruhigender Weise zu reimen scheint. Die Ereignisse in Griechenland 1940/41 lehren uns, dass moralische Haltung und Mut zum Widerstand entscheidend sind – selbst dann, wenn die Lage aussichtslos erscheint. Griechenland hätte kapitulieren können: Premierminister Ioannis Metaxas war kein Demokrat im modernen Sinn, sondern selbst autoritär regierend und ideologisch keineswegs weit von den Faschisten entfernt. Und doch entschied er sich, sein Land gegen die Aggressoren zu verteidigen. Dieses „Όχι“ – „Nein“ – steht seither symbolisch für die Weigerung, Unrecht hinzunehmen. Haltung bedeutet, für Prinzipien einzustehen, auch wenn es kostet.

Griechenland zahlte dafür einen hohen Preis. Nach der Eroberung wurde das Land von der deutschen Besatzungsmacht gnadenlos ausgeplündert; Zehntausende Menschen verhungerten während der großen Hungersnot von 1941/42 unter der Besatzung. Brutale sogenannte „Vergeltungsaktionen“ – was für Vergeltung? Griechenland war das angegriffene Land – wie das Massaker von Distomo 1944, bei dem über zweihundert Dorfbewohner ermordet wurden, brannten sich in das kollektive Gedächtnis ein. Und doch bewahrte Griechenland seine Würde. Feldmarschall Wilhelm Keitel gestand später: „Die überraschend zähe griechische Widerstandskraft hat entscheidend den Verlauf des Krieges beeinflusst.“Die Griechen zeigten, dass auch ein kleines Volk einem übermächtigen Tyrannen die Stirn bieten kann – und dass Haltung Geschichte verändern kann.

Heute scheint diese Lektion wichtiger denn je. In der Gegenwart beobachten wir erneut, wie Konflikte herbeigeredet und Feindbilder beschworen werden. In westlichen Hauptstädten erklingt wieder eine Sprache, die fatal an die Kriegsrhetorik der 1930er Jahre erinnert. Bedrohungen werden beschworen, Aufrüstung als alternativlos erklärt, Diplomatie rückt in den Hintergrund. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sagte kürzlich: „Wir werden uns wieder verteidigen müssen!“. Dieses kleine Wort „wieder“ ließ aufhorchen – wiederverteidigen? Wann musste sich Deutschland jemals gegen Russland verteidigen? Die historische Wahrheit ist doch das Gegenteil: 1914 wie 1939 ging die Gefahr des Weltkriegs von Deutschland aus, nicht von Russland. Diese Aussage verdreht die Geschichte ins Gegenteil und erinnert gefährlich an Hitlers Propaganda.

Am 1. September 1939 verkündete Hitler, seit 5:45 Uhr werde „zurückgeschossen“ – in Wahrheit hatte die Wehrmacht Polen überfallen. Solche Umkehr von Täter und Opfer ist das klassische Muster jeder Kriegspropaganda.

Zugleich verschiebt sich in Deutschland die politische und wirtschaftliche Priorität erneut in Richtung Kriegsvorbereitung. Milliarden fließen in Rüstungsprogramme, während zivile Branchen vernachlässigt werden. Traditionsreiche Werke schließen oder werden auf Kriegsproduktion umgestellt – etwa das VW-Werk Osnabrück, das laut Berichten an den Panzerbauer Rheinmetall übergehen könnte. Gleichzeitig baut Volkswagen zehntausende Stellen in der zivilen Autosparte ab, während die Waffenindustrie boomt. Seit 2015 ist die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Rüstungsindustrie um rund 50 Prozent gestiegen. Politiker loben diese Entwicklung: Der Verteidigungsminister fordert „Kriegstüchtigkeit“ bis 2029, die Regierung spricht von „Wehrhaftigkeit“ und „Abschreckung“, um angeblich Frieden zu sichern. Doch die Geschichte zeigt: Auch frühere Regime rüsteten sich „präventiv“ – und entfesselten am Ende den Krieg, den sie vorgaben verhindern zu wollen.

Griechenland 1940 beweist, dass man sich von solchen Dämonisierungen nicht mitreißen lassen darf. Das Land weigerte sich, sich Italien zu beugen, und erkannte, dass Beschwichtigung gegenüber einem Aggressor niemals Frieden bringt. Metaxas’ „Nein“ zeigte: Es gibt Momente, in denen das Einstehen für Souveränität und Recht wichtiger ist als Angst vor Übermacht. Griechenland kämpfte nicht aus Hass, sondern aus Pflicht. Es kämpfte nicht, um zu unterwerfen, sondern um zu bestehen. Haltung bedeutet nicht Kriegslust, sondern Treue zu den eigenen Werten.

Gerade darin liegt die Lehre für heute. Westliche Demokratien dürfen nicht denselben Fehler begehen wie jene, die sie einst bekämpften. Wer für Freiheit und Menschenrechte eintritt, muss glaubwürdig bleiben. Abschreckung mag nötig sein, doch sie darf nie den Platz von Vernunft und Diplomatie einnehmen. Heute aber wirkt vieles, als habe Deutschland diese Lehre vergessen. Politik und Leitmedien sprechen über Krieg, Waffen und Aufrüstung mit einer Leichtigkeit, die alarmieren sollte. Peter Hahne schrieb treffend, dass Konzerne wie Volkswagen sich offen auf Kriegswirtschaft einstellen. Über Munitionswerke und Rüstungsaufträge wird berichtet, als ginge es um den Bau von Haushaltsgeräten – ein gefährliches Zeichen der Gewöhnung.

Wenn heute führende Politiker im Westen von der „Verteidigung unserer Werte“ am anderen Ende der Welt sprechen und das Gespenst eines dritten Weltkriegs heraufbeschwören, lohnt der Blick zurück: Auch 1940 rechtfertigten Aggressoren ihre Kriege mit angeblichen Werten und Sicherheitsbedürfnissen. Mussolini behauptete, Griechenland bedrohe Italien – in Wahrheit war er der Angreifer. Hitler nannte seinen Angriff auf Polen einen Präventivschlag – tatsächlich brachte er den Krieg über Europa.

Auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligte sich 1999 unter einer sozialdemokratisch-grünen Regierung an einem Krieg, der ohne Mandat der Vereinten Nationen geführt wurde – den Luftangriffen der NATO auf Serbien. Zum ersten Mal seit 1945 flogen deutsche Kampfflugzeuge wieder Angriffe auf europäisches Territorium. Die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer rechtfertigte den Einsatz mit humanitären Gründen. Doch viele Völkerrechtler bezeichneten ihn als klaren Verstoß gegen das Völkerrecht, da weder ein UN-Beschluss noch eine direkte Bedrohung der NATO-Staaten vorlag.

Selbst Gerhard Schröder gab später öffentlich zu, dass der Einsatz „völkerrechtswidrig“ war. Damit zeigte sich: Auch demokratische Staaten, selbst solche mit pazifistischer Tradition, sind nicht gefeit davor, unter moralischer Rhetorik Kriege zu führen. Der Angriff auf Serbien markierte einen gefährlichen Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte – weg von der „Nie wieder Krieg“-Doktrin hin zu einer Politik der moralisch verbrämten Interventionen, die seither in Afghanistan, Libyen und anderswo fortgesetzt wurde.

Es ist die gleiche Logik, die schon 1940 zur Katastrophe führte: Krieg als Mittel der Werteverteidigung. Doch wer das Völkerrecht im Namen der Moral beugt, verrät am Ende beides – das Recht und die Moral.

Propaganda dreht die Realität um. Wahrheit verlangt Mut. Und diesen Mut zeigten die Griechen.

Heute ist Haltung wichtiger denn je. Haltung heißt, Wahrheit von Lüge zu trennen, statt jede „offizielle“ Erzählung zu übernehmen. Haltung heißt, für Frieden einzutreten, solange noch Hoffnung besteht – und, wenn man kämpfen muss, es aus Notwehr zu tun, nicht aus Stolz. Haltung heißt, rechtzeitig Nein zu sagen, wenn rote Linien überschritten werden.

Das Erbe Griechenlands ist genau dies: Sagt Nein, wenn Unrecht geschieht – auch unter Druck. Ein kleines Volk verzögerte einst den Lauf des Krieges und rettete damit womöglich Europas Freiheit. Diese Erinnerung verpflichtet.

Deutschland sollte sich fragen: Quo vadis? Wohin gehst du? Willst du zum dritten Mal in kaum hundert Jahren in den Rausch der Selbstzerstörung verfallen? Willst du „wieder“ kämpfen, obwohl du zweimal die Welt in Trümmer gelegt hast?

Nein – lernen wir lieber Demut und Mut von jenen Griechen, die 1940 aufrecht für ihr Recht einstanden. Ihre Geschichte ruft uns zu:

Habt Haltung.
Bleibt den wahren Werten treu – Freiheit, Wahrheit, Frieden.

Denn ein Volk, das aus der Geschichte nicht lernt, ist verdammt, sie zu wiederholen.
Griechenland hat gezeigt, dass es einen anderen Weg gibt. Folgen wir seinem Beispiel, solange wir noch die Wahl haben.

 

 

 

Quellen:

  1. https://www.historynet.com/oxi-day-greece-wwii
  2. https://www.history.com/topics/world-war-ii/italian-invasion-of-greece
  3. https://www.iwm.org.uk/history/why-hitler-delayed-operation-barbarossa
  4. https://www.nationalww2museum.org/war/articles/italian-invasion-greece-1940
  5. https://www.britannica.com/event/Battle-of-Greece
  6. https://www.oxidayfoundation.org/
  7. https://yumpu.com/de/document/read/69047460/oxi-day-der-griechische-nein-tag
  8. https://greekreporter.com/2022/10/28/oxi-day-greece-italy-world-war-ii/

Politische und ideologische Hintergründe Mussolinis:
9. https://www.britannica.com/biography/Benito-Mussolini
10. https://www.cambridge.org/core/journals/historical-journal/article/origins-of-italian-fascism/
11. https://press.princeton.edu/books/paperback/9780691005281/the-birth-of-fascist-ideology-zeeve-sternhell
12. https://global.oup.com/academic/product/the-sacralization-of-politics-in-fascist-italy-9780674013286

Weisung Nr. 20 („Unternehmen Marita“) und Hitlers Reaktion:
13. https://www.britannica.com/event/Balkan-Campaign
14. https://www.iwm.org.uk/history/the-german-invasion-of-greece-1941

Griechischer Widerstand, Distomo-Massaker und Hungersnot:
15. https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/germany-in-greece
16. https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/the-distomo-massacre
17. https://ehne.fr/en/article/conflicts-and-europe/europe-and-world-wars/occupation-policies-and-resistance-greece

Symbolik, Kultur und Widersprüche des Nationalsozialismus:
18. https://www.britannica.com/biography/Otto-I-king-of-Greece
19. https://www.smithsonianmag.com/history/how-the-nazis-reinvented-the-olympic-torch-relay-180960376/
20. https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/muslim-collaboration-and-the-division-handschar
21. https://www.ushmm.org/wlc/en/article.php?ModuleId=10005476

Aktuelle politische Parallelen und öffentliche Aussagen:
22. https://www.globalbridge.ch/friedrich-merz-und-die-wehrhafte-republik/
23. https://www.dw.com/de/deutsche-r%C3%BCstungsindustrie-boomt/a-68567931
24. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/ruestung-rheinmetall-und-volkswagen-arbeiten-enger-zusammen/29741660.html
25. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/bundeswehr/kriegstuechtigkeit-der-bundeswehr-2184340
26. https://yumpu.com/de/document/view/69452710/oxi-day-die-bedeutung-des-28-oktober-fuer-griechenland

Zitate, Reden und historische Einschätzungen:
27. https://winstonchurchill.org/resources/speeches/1941-1945-war-leader/the-war-situation-1941/
28. https://www.archives.gov/research/holocaust/articles/wilhelm-keitel

 

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