Bautzen – Ein Friedenslicht in stürmischer Zeit

Eine vorweihnachtliche Hommage an 1000 Jahre Vielfalt, Bodenständigkeit und Frieden

Ein humanistisches Plädoyer – von David Vandeven

 

Es ist Advent in Bautzen. Die Altstadt erstrahlt im warmen Lichterglanz des Wenzelsmarktes – jenes traditionsreichen Weihnachtsmarktes, der hier seit 1384 abgehalten wird, lange bevor es Deutschland in heutiger Form gab. In den engen Gassen mischen sich die Klänge deutscher und sorbischer Weihnachtslieder, als würden zwei Seelen im Einklang singen. Der Duft von gebrannten Mandeln, Tannengrün und einer Prise Bautz’ner Senf an den Bratwürsten liegt in der Luft. Ich stehe auf dem Kornmarkt nahe der alten Ortenburg und spüre den Hauch der Geschichte: Genau hier, wo heute Menschen glühweinseligen Herzens „Witajće k nam! / Herzlich willkommen!“ rufen, wurde vor über 1000 Jahren ein Friede geschmiedet, der die Welt verändern sollte.

Bautzen, diese über tausendjährige Stadt im Herzen der Oberlausitz, trägt ihre Geschichte sichtbar auf jedem Schritt – und mit ihr eine außergewöhnliche kulturelle Vielfalt. Seit 1002, als Bautzen (damals Budissin) erstmals urkundlich erwähnt wurde, leben hier Deutsche und Sorben Seite an Seite. Bis heute sind etwa 5–10 % der Bautzener Einwohner sorbischer Nationalität. Zweisprachige Straßenschilder, Schulen mit sorbischem Unterricht, das Sorbische Museum und das Deutsch-Sorbische Theater – all das zeugt vom Nebeneinander und Miteinander zweier Völker, die hier eine gemeinsame Heimat fanden. Man sagt, Bautzen sei die „Hauptstadt der Sorben“. Tatsächlich prägt Sorbisch als lebendige Sprache, mit eigenen Bräuchen wie dem Osterreiten und der Vogelhochzeit, bis heute das Stadtleben. Diese Bikulturalität ist kein Zufall – sie ist Erbe eines Friedens.

In einer kalten Januarnacht des Jahres 1018 müssen hochrangige Gesandte über knarrende Holzbrücken in die Ortenburg eingezogen sein. Kaiser Heinrich II., der Herrscher des Heiligen Römischen Reiches, entsandte sie. Von Osten her näherte sich der Tross des polnischen Herzogs – oder vielmehr Königs – Bolesław I. Chrobry, genannt der Tapfere. Fünfzehn lange Jahre hatten ihre Reiche miteinander im Krieg gelegen. Hier, in Budissin, wollten sie endlich das Blutvergießen beenden. Der Chronist Thietmar von Merseburg – ein Zeitzeuge jener Epoche – berichtet, dass dieser „Frieden von Bautzen“ auf inständiges Bitten Bolesławs und auf Befehl des Kaisers zustande kam. Wie muss die Stimmung gewesen sein? Misstrauisch belauernd einerseits, erleichtert andererseits – man hatte genug vom Krieg. Beide Seiten stellten sogar Geiseln, um das Bündnis zu sichern. Der Merseburger Bischof Thietmar notierte kritisch, der vereinbarte Frieden sei „nicht so, wie es sich gehörte, sondern wie es eben möglich war“. Mit anderen Worten: ein Kompromissfrieden – nicht perfekt, aber besser als weiteres Töten.

Ich stelle mir vor, wie in der zugigen Halle der Ortenburg Fackeln flackerten, als die Unterhändler das Pergament auf den groben Eichentisch legten. Vielleicht drang durch ein kleines Fenster in der Burg ein Stern am Nachthimmel – ein Vorbote weihnachtlichen Friedens in ferner Zukunft? Heinrichs Männer – darunter Erzbischof Gero von Magdeburg und Markgraf Hermann von Meißen – mussten schlucken, denn die Bedingungen waren ungewohnt nachgiebig: Bolesław erhielt die Lausitz mit Bautzen nahezu unabhängig zugesprochen, lehnsfrei, nicht mehr als Reichsgebiet. Für das Reich war es kein glanzvoller Sieg, sondern eher ein strategischer Rückzug – einige Historiker meinten gar, der Kaiser habe weniger erreicht als in früheren Verhandlungen. Doch für die Menschen hier bedeutete es eine Atempause von unschätzbarem Wert. Dreizehn Jahre Frieden folgten auf diesen Vertrag – in jenen wilden Zeiten des Mittelalters war das eine halbe Ewigkeit, wenn man bedenkt, dass Europas Chroniken sonst von endlosen Fehden blutrot gefärbt waren. Ich stelle mir vor, wie nach dem 30. Januar 1018 langsam wieder Händlertrossen statt Heereskolonnen die Via Regia befuhren, wie Bauern die Felder bestellen konnten, ohne Schwert und Fackel fürchten zu müssen. Thietmar mag gemäkelt haben – aber dieser Frieden rettete Leben und schenkte der Lausitz die Chance, sich zu entwickeln.

Tatsächlich war das Vermächtnis dieses Friedensabkommens gewaltig. Die Oberlausitz wurde als eigenständiges Nebenland etabliert – eine politische Sonderrolle, die über 800 Jahre Bestand hatte. Hier an der Schnittstelle von Deutschem und Slawischem konnte etwas gedeihen, was anderswo oft zerstört wurde: ein Miteinander der Kulturen. Während in vielen Regionen die slawischen Stämme im Lauf der Zeit untergingen, blieb hier dank des Friedensschlusses der Stamm der Milzener – die Vorfahren der heutigen Sorben – bestehen. Bis heute pflegen die Sorben hier ihre Sprache und Bräuche; Bautzen ist zweisprachig, zweiseelig – ein lebendiges Symbol dafür, dass Verständigung möglich ist, selbst nach Konflikten. Dieser Gedanke rührt mich immer wieder: Ohne den Frieden von Bautzen 1018 gäbe es vielleicht keine sorbische Osterprozession mehr, kein zweisprachiges „Witaj“ am Ortseingang. Friedensverträge mögen trockene Papierdokumente sein – doch hier haben sie eine Kultur vorm Verschwinden bewahrt. Die Bilingualität der Oberlausitz ist seit tausend Jahren eine Brücke zwischen Ost und West, ein role model, wie zum Jubiläum festgestellt wurde.

Umso erstaunlicher ist es, dass dieser Friedensschluss in Deutschland lange fast vergessen war. In Polen kennt jedes Schulkind Bolesław Chrobry, den tapferen König, der in Bautzen dem mächtigen Kaiser Paroli bot und einen für ihn günstigen Frieden erreichte. Hierzulande hingegen mussten erst engagierte Bautzener Bürger und Historiker diesen Schatz der Geschichte wieder heben. Ich erinnere mich gut an das Jahr 2018, als unsere Stadt mit Stolz „1000 Jahre Friede von Bautzen“ feierte. Es gab wissenschaftliche Konferenzen mit Experten aus Deutschland, Polen und Tschechien, Ausstellungen, sogar ein digitales Adventure-Spiel für Jugendliche, um die alten Schauplätze per Handy zu erkunden. Unsere Schulen griffen das Thema kreativ auf – im Talentwettbewerb dichteten junge Leute zum Motto „Frieden ist …“. Und am 26. Mai jenes Jahres – es war ein sonniger Frühlingstag – wurde auf dem Kornmarkt eine historische Inszenierung geboten: Musiker aus Bautzens Partnerstädten Jelenia Góra und Heidelberg spielten gemeinsam auf, als ob Bolesławs Polen und Heinrichs Reich musikalisch vereint würden. Dieses interkulturelle Miteinander war der Kern der Botschaft: So wie 1018 ein Ausgleich gefunden wurde, so verbindet uns heute die europäische Idee. Die sächsische Kunst- und Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange sagte zur Festveranstaltung einen Satz, der mir nicht aus dem Kopf geht: „Der Frieden zu Bautzen … begründet ähnlich wie andere europäische Friedensschlüsse in hohem Maße unsere Identität in der Mitte Europas.“ Sie warnte zugleich: Seit über 70 Jahren leben wir in Europa in Frieden, doch dieser Zustand sei keine Selbstverständlichkeit – man spüre eine schleichende Bedrohung des Friedens. Wie recht sie doch hat.

Heute, nur wenige Jahre nach den Jubiläumsfeiern, scheint diese Mahnung dringlicher denn je. Ich sitze hier in Bautzen, dem Friedenssymbol schlechthin – einer Stadt, die den Krieg abgewählt hat, die seit über tausend Jahren auf Verständigung setzt – und frage mich in der stillen Vorweihnachtszeit: Haben unsere Bundespolitiker eigentlich noch nie von Bautzen gehört? Wissen sie nicht um unser großes Friedensvorbild? Während wir in Bautzen das Wort Frieden feiern, höre ich in Berlin und in den Medien fast niemanden davon sprechen. Stattdessen erlebe ich eine Rhetorik der Konfrontation. Da wird von „Leopard“-Panzern geschwärmt, von Abschreckung und „Kriegstüchtigkeit“ geredet, als wäre das etwas Ruhmreiches. Ich höre Anschuldigungen und Feindbilder, ich höre die beinahe schon lustvoll vorgetragenen Pläne zur Aufrüstung, zu neuen Waffenlieferungen, zu immer weiterer Eskalation – aber ich höre so gut wie nie jemanden laut das Wort Verhandlungen oder Diplomatie sagen. Es ist, als wäre Frieden zu einem Tabu-Wort geworden in der hohen Politik, fast schon ein Verräterwort. „Andere tun das gar nicht, reden nur noch über Waffen“, beklagte selbst der SPD-Politiker Ralf Stegner jüngst über den Diskurs in Berlin. Diese Atmosphäre empfinde ich als geradezu gespenstisch – und brandgefährlich.

In den Redaktionsräumen der großen Hauptstadtsender und Zeitungen zeigt sich dasselbe Bild. Viele meiner Journalistenkollegen im Mainstream scheinen ihren Kompass verloren zu haben. Sie überbieten sich in Härteformeln und Schlagzeilen, die meist wie Parolen aus verflossenen Zeiten klingen. Mahner werden lächerlich gemacht oder als „Träumer“ diffamiert. Wer wagt, Friedensverhandlungen auch nur anzudeuten, sieht sich schnell abgestempelt – das Etikett „Naivling“ ist da noch freundlich, oft genug heißt es „Putinversteher“ in spitzer Zunge. Das erinnert fatal an die finstersten Zeiten der Propaganda, in denen jede abweichende Stimme als Landesverrat galt. Haben wir so wenig aus unserer Geschichte gelernt? Hier in Ostdeutschland hat man zumindest gelernt, skeptisch zu bleiben. „Die Menschen hier lassen sich nicht blenden. Sie sind bodenständig, vernünftig, misstrauisch und fröhlich“, charakterisierte einmal jemand treffend die Bautzener Mentalität. Dieses gesunde Misstrauen gegenüber großen Parolen hat uns vielleicht davor bewahrt, in gefährliche Extreme zu verfallen. Wir haben aus dem Wendeherbst ’89 die Lektion mitgenommen, dass man keinem verordneten „einzigen Weg“ blind folgen darf – sei es nun der Weg des Sozialismus oder der eines scheinbar unausweichlichen Krieges.

Gerade jetzt, in der Adventszeit, frage ich mich mit schwerem Herzen: Würden all jene, die in Talkshows und Leitartikeln so lautstark Härte predigen, genauso reden, wenn sie selbst – oder ihre eigenen Kinder – an die Front müssten? Wenn Außenminister und Kommentatoren morgen persönlich die Tarnuniform anlegen und im Schützengraben frieren müssten, mit dem Feind vis-à-vis – würden sie dann noch von der „militärischen Lösung“ sprechen, als wäre sie eine sachliche Option unter vielen? Ich bezweifle es zutiefst. Es ist leicht, den Helden zu spielen, solange es andere sind, die das Leiden übernehmen.

Der bekannte Liedermacher Reinhard Mey brachte dieses Gefühl schon 1986 in seiner Ballade „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“ auf den Punkt – ein trotziges, zutiefst menschliches Bekenntnis eines Vaters, der sich weigert, seine Kinder dem Krieg zu opfern. Heute, fast vier Jahrzehnte später, klingt dieser Satz aktueller denn je: Nein, meine Kinder gebe ich nicht – weder für eure Kriege noch für eure Schlachtfelder. Würden unsere Regierenden und Meinungsmacher selbst das eigene Fleisch und Blut riskieren müssen, ich bin überzeugt, augenblicklich stünden Frieden und Diplomatie ganz oben auf der Tagesordnung. Genau deshalb darf eine Demokratie den einfachen Bürger – uns alle – nicht aus der Verantwortung entlassen. Denn würden mehr Menschen spüren, dass Krieg kein geopolitisches Planspiel ist, sondern der qualvolle Tod geliebter Menschen, wäre diese Leichtfertigkeit schnell vorbei.

In diesem Zusammenhang denke ich unweigerlich an einen Abend zurück, der mir bis heute klar vor Augen steht: die Verleihung des Bautzner Friedenspreises an den Schweizer Friedensforscher Dr. Daniele Ganser. Ich war an diesem Abend selbst vor Ort, als Moderator, als Journalist, als jemand, der zutiefst an die Idee des Friedens glaubt. Die Veranstaltung war würdig, getragen von großem Zuspruch der Friedensaktivisten und vieler ganz normaler Bürger, die genug haben von Aufrüstung, Feindbildern und Dauereskalation.

Was es ebenfalls gab – und das sollte man nüchtern benennen, ohne Dramatisierung – war der übliche Protest. Kein Skandal, kein Aufruhr, kein gesellschaftlicher Riss, sondern das, was wir seit Jahren kennen: der offene Gegensatz zwischen linken Kriegsbefürwortern und Friedensgegnern auf der einen Seite und bürgerlichen Kriegsgegnern und Friedensbefürwortern auf der anderen. Ein politischer Konflikt, wie er in einer pluralen Gesellschaft vorkommt, nicht mehr und nicht weniger. Wer daraus eine „umstrittene Veranstaltung“ konstruierte, tat dies nicht aus Beobachtung, sondern aus Haltung.

Mich hat an diesem Abend weniger der Protest beschäftigt als die Reaktion mancher Journalistenkollegen. Nicht alle, wohlgemerkt – aber einige. Sie blickten nicht neugierig, nicht fragend, nicht offen, sondern urteilend. Frieden wurde nicht als ernsthafte Position behandelt, sondern als Abweichung. Als etwas, das erklärt, eingeordnet, relativiert werden müsse. Genau hier liegt das eigentliche Problem unserer Zeit: Nicht der Protest gegen Frieden ist neu, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der Friedenspositionen inzwischen delegitimiert werden.

Ich blicke hinauf zur Silhouette des Petridoms, der über Bautzen thront. Diese Kirche ist eine der wenigen Simultankirchen der Welt, in der seit der Reformation Katholiken und Protestanten unter einem Dach beten – bis heute durch ein schmiedeeisernes Gatter im Innenraum getrennt. Ein Symbol der Trennung und zugleich der Einheit. Zwei Konfessionen, die sich über Jahrhunderte bekämpft haben, haben hier einen Modus Vivendi gefunden, friedlich unter einem Dach. Bautzen ist voller solcher stillen Lehren.

Die Linde im Burglehn, die Sage vom Riesen Przewor, der Bautzner Senf – alles Zeugnisse von Bodenständigkeit und Zusammenhalt. Selbst unsere Küche erzählt davon: sorbisches Żurek-Sauerampfersüppchen neben sächsischem Sauerbraten. Hier wurde nie einer Kultur der Rang abgesprochen. Man lebte nebeneinander und miteinander, mal mit Zaun, mal ohne. Diese demutsvolle Bodenständigkeit – das Wissen, wo man hingehört, ohne andere zu erniedrigen – hat Bautzen über Jahrhunderte geprägt. Und vielleicht ist genau das der Grund, warum diese Stadt seit über tausend Jahren eines so klar bewahrt hat: den Frieden nicht als Schwäche zu begreifen, sondern als höchste Form menschlicher Stärke.

Und das führt mich zurück zum wichtigsten Schatz dieser Stadt: Frieden. Frieden ist kein abstraktes Ideal, nein – Frieden ist gelebter Alltag. Frieden bedeutet, dass ich heute Abend unbesorgt durch die weihnachtlich beleuchteten Straßen nach Hause schlendern kann, eine Tüte frisch gebrannte Mandeln in der Hand, während über mir die Sterne funkeln. Frieden bedeutet, dass eine sorbische Großmutter und ihre deutsche Nachbarin sich am Marktstand umarmen und frohe Weihnachten – Vesele hody! – wünschen. Frieden bedeutet aber auch, dass Konflikte lösbar sind, wenn guter Wille und Einsicht walten. Es ist wie mit unserem Bautz’ner Senf: Ein guter Senf ist mittelscharf – er hat Feuer, aber er brennt nicht nieder. Ebenso braucht eine Gesellschaft Debatten mit Schärfe, aber keinen alles verzehrenden Hass. Wenn ich mein traditionelles Bautz’ner Senfglas anschaue – 24 Millionen Mal geht es jährlich über deutsche Ladentheken, ein kleiner Becher regionaler Identität in so vielen Küchen – dann denke ich schmunzelnd: Vielleicht sollten unsere Politiker mal gemeinsam eine Bautz’ner Leberwurststulle essen, mit einem ordentlichen Klecks Senf drauf – das öffnet die Nebenhöhlen und die Perspektiven. Mit einem Spritzer Bautz’ner in der Nase sieht die Welt gleich weniger verbissen aus.

Frieden ist die wirkliche Kunst. Mehr und mehr begreife ich das. „Über Waffen kann jeder Trottel reden, aber Diplomatie ist die wahre Kunst“ – dieser Derbheit eines Politikers stimme ich aus vollem Herzen zu. Frieden erfordert Fantasie, Empathie, Mut zum ersten Schritt. Krieg dagegen folgt immer demselben einfältigen Skript: zerstören, verbrennen, trauern. Frieden ist kreativ, Krieg ist destruktiv. Bautzen hat sich vor über tausend Jahren für die Kreativität entschieden. Vielleicht war es ein pragmatischer Friede, „nicht wie es sich gehörte, aber wie es damals möglich war“ – aber er war der Aufbruch zu etwas Neuem. Die Heilige Schrift verkündet in der Weihnachtszeit: „Friede auf Erden den Menschen guten Willens.“ Frieden beginnt mit gutem Willen – der Rest ist Verhandlungssache. Heinrich und Bolesław hatten am Ende guten Willen – und wer weiß, vielleicht auch die Weisheit ihrer Frauen und Ratgeber im Ohr. Apropos: Teil des Bautzener Friedens war auch eine Eheschließung – Bolesław nahm die sächsische Markgrafentochter Oda zur Frau. Ein mittelalterlicher Weg, Bündnisse zu festigen. Sicher stand diese junge Frau symbolisch für die Verbindung der zwei Häuser. Ein zarter menschlicher Faden im großen politischen Tauziehen, aber genau solche menschlichen Fäden sind es, aus denen der Teppich des Friedens gewoben wird.

Nun, gegen Ende meines Essays, spitze ich meine Gedanken noch einmal philosophisch zu – und spüre zugleich, wie mein inneres Ich dabei frei atmet: Frieden ist kein Zustand, Frieden ist ein Prozess, eine immer wieder neu zu treffende Entscheidung. Bautzen hat diesen Entschluss verinnerlicht. Hier trägt man Konflikte lieber im Verein oder Stadtrat aus als auf dem Schlachtfeld. Hier weiß man: Was du über Jahrhunderte aufgebaut hast, kann ein einzelner Krieg in Schutt legen. Warum also je wieder Krieg? Es ist, als habe Bautzen vor tausend Jahren dem Krieg die Abwahl erteilt – und diese Abwahl immer wieder erneuert. Manchmal frage ich mich, warum dieses stille Wunder im großen Rest der Welt so wenig bekannt ist. Bautzen könnte man einen Mikrokosmos der Hoffnung nennen. Wenn man nur genau hinschaut, findet man in unserer Stadtgeschichte die ganze Renaissance des Friedens, nach der die Welt sich heute sehnt: Da ist der Mut zur Verständigung (1018), das Bewahren kultureller Vielfalt (Sorben und Deutsche seit einem Jahrtausend), das friedliche Miteinander der Religionen (Petridom mit seinem symbolischen Zaun), das Bodenständige und Ehrliche im Charakter der Leute, die nicht jedem extremen Trend hinterherrennen. Bautzen ist nicht perfekt – auch wir hatten unsere Konflikte und Probleme, alte Gräben und neue Herausforderungen. Aber tief in der Seele dieser Stadt brennt ein Licht der Vernunft, ein Friedenslicht, das niemals erloschen ist.

Gerade in dieser turbulenten Zeit, da draußen die Welt scheinbar kopfsteht, möchte ich dieses Licht hochhalten. Ich wünsche mir, dass die Mächtigen einmal nach Bautzen schauen – wirklich schauen – und begreifen, welches Potenzial in echter Friedensbereitschaft steckt. Statt immer lauter nach Waffen zu rufen, sollten sie öfter der leisen Stimme Bautzens lauschen. Die sagt: Ihr könnt so viele Schwerter schmieden, wie ihr wollt – am Ende wird nichts so kostbar sein wie ein einziger dauerhafter Frieden.

Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, als ein kleiner Junge an meinem Mantelzipfel zupft. Er zeigt auf ein Schild am Brunnen vor dem Rathaus. Dort steht auf Deutsch und Sorbisch: „Mír – Pokój – Peace – Friede“. „Was heißt das?“, fragt er neugierig. „Das heißt Frieden, mein Kind“, antworte ich und gehe in die Hocke. „Frieden – das ist, wenn alle Menschen freundlich miteinander sind und niemand dem anderen weh tut.“ Der Junge nickt ernsthaft und fragt: „Warum reden dann nicht alle davon, wenn es doch so schön ist?“ – „Tja“, sage ich und spüre zugleich einen Kloß im Hals wie ein Geschenk, das noch nicht ausgepackt wurde, „manche haben es wohl vergessen. Aber wir hier in Bautzen erinnern uns. Weißt du was? Vielleicht kannst du ja allen davon erzählen.“ Er strahlt mich an, als hätte ich ihm soeben das einfachste und zugleich wertvollste Weihnachtsgeschenk gegeben. In diesem Moment begreife ich: Die Saat für eine neue Friedensrenaissance ist längst gelegt – sie schlummert in den Herzen unserer Kinder, in den Geschichten unserer Städte, in den Lehren unserer Geschichte. Man muss sie nur gießen und ans Licht heben.

Ich richte mich auf, und gemeinsam schlendern wir zurück in Richtung Weihnachtsmarkt, wo uns der Duft von Zimt und Lebkuchen empfängt. Hoch über uns, am Turm der Alten Wasserkunst, drehen sich langsam die Schatten der Vergangenheit im Kreis. Bautzen behütet seine Geheimnisse gut – aber wer sie sucht, findet in ihnen vielleicht den Schlüssel für morgen. Im fahlen Dezemberhimmel meine ich, für einen Augenblick zwei Gestalten Hand in Hand zu sehen: Heinrich und Bolesław, wie sie lächelnd auf ihre Stadt blicken, in der Deutsche und Sorben, Christen verschiedener Konfession und Menschen guten Willens gemeinsam das Fest der Liebe vorbereiten. Eine tausendjährige Vision erfüllt sich hier in jedem Lachen eines Kindes, in jedem friedlichen Alltag.

Mögen doch all die „großen“ Leute da draußen endlich verstehen, was wir Bautzener seit Generationen leben: Frieden ist möglich. Frieden ist konkret. Frieden ist das, was geschieht, wenn Menschen beschließen, Mensch zu bleiben. Vielleicht kommt ja der Weihnachtsmann dieses Jahr in Berlin vorbei und legt unseren Politikern etwas ganz Besonderes unter den Baum: eine Flasche Bautz’ner Senf – mittelscharf, weltoffen und unverdorben. Ein bisschen von Bautzens Seele im Glas. Man nimmt einen Löffel davon, kostet – und spürt die Wärme und Würze, die durch die Nase zieht, Tränen in die Augen treibt und den Kopf freimacht. Dann, so hoffe ich, fangen sie alle laut an zu niesen, und mit einem Mal fällt der ganze Pulverrauch der letzten Kriegsrhetorik wie Schuppen von den Augen. Man schaut sich verdutzt an – und fängt an zu lachen. Denn ist es nicht absurd, was wir uns antun, wo es doch so einfach sein könnte?

Mit diesem philosophischen Augenzwinkern schließe ich meine kleine Bautzener Vorweihnachtsgeschichte. Möge ihr Geist, das stille Friedenslicht meiner Heimatstadt, hell in die Welt hinausleuchten – gerade jetzt. Und wer weiß: Vielleicht sagen ja künftige Generationen, wenn man sie fragt, was Bautzen bedeutet, nicht nur „Senf“ – sondern auch: „Dort begann einmal der Friede… und er dauert bis heute an.“

Bonusteil: Wissenswertes über Bautzen und den Bautzener Frieden

• Frieden von Bautzen 1018: Am 30. Januar 1018 schlossen Kaiser Heinrich II. und Herzog, später König, Bolesław I. von Polen auf der Ortenburg Bautzen einen Vertrag, der einen fünfzehnjährigen Krieg beendete. Bolesław erhielt die Lausitz, das Milzenerland um Bautzen, weitgehend autonom, was es ihm erlaubte, diese Gebiete polnisch zu verwalten. Der Friede hielt etwa dreizehn Jahre – eine lange Periode in jener Epoche. Historiker bewerten ihn als Meilenstein der deutsch-polnischen Geschichte; er begründete erstmals die Oberlausitz als eigenständige Region, deren Grenzen und kulturelle Prägung bis heute nachwirken. Der Chronist Thietmar von Merseburg schrieb über den Friedensschluss: „non ut decuit, sed sicut tunc fieri potuit“ – „nicht, wie es sich gebührte, sondern wie es damals möglich war“, was auf den Charakter eines Pragmatismus-Friedens hindeutet.

• Bautzener kulturelle Vielfalt: Bautzen, obersorbisch Budyšin, ist bis heute vom Miteinander der deutschen und sorbischen Bevölkerung geprägt. Sorben, auch Wenden genannt, siedelten seit dem 6. Jahrhundert in der Lausitz. In Bautzen und Umgebung leben noch rund 20 000 Sorben, davon etwa 5 000 in der Stadt, rund zehn Prozent der Einwohner. Die Stadt ist offizielles Zentrum der Sorben: Es gibt zweisprachige Beschilderungen, Schulen und Kindergärten mit sorbischem Unterricht, ein Sorbisches National-Ensemble mit eigenem Chor, Ballett und Orchester sowie sorbische Chöre, Zeitungen und Organisationen. Die sorbische Kultur bereichert Bautzen durch einzigartige Bräuche: zu Ostern das traditionelle Osterreiten und im Januar die Vogelhochzeit. Diese Traditionen ziehen viele Besucher an und werden auch von Nicht-Sorben geschätzt. Bautzen bekennt sich ausdrücklich zu seiner bikulturellen Geschichte. Dieses gelebte Beispiel von Toleranz und kultureller Vielfalt ist eine Frucht der historischen Entwicklung seit 1018. Auch politisch hatten Sorben Gewicht: So war mit Stanislaw Tillich von 2008 bis 2017 ein Sorbe Ministerpräsident des Freistaats Sachsen.

• Gutbürgerliche Bodenständigkeit: Bautzen und die Oberlausitz sind bekannt für einen bodenständigen, traditionsbewussten Lebensstil. Die Menschen hier gelten als eher zurückhaltend, arbeitsam und heimatverbunden. Ein lokaler Kulturschaffender beschrieb die Bautzener Mentalität so: Die Leute hier lassen sich nicht blenden; sie sind bodenständig, vernünftig, misstrauisch und zugleich fröhlich. Dieses Profil spiegelt sich im Alltagsleben wider. Man pflegt gern Brauchtum, sorbische Trachten und regionale Küche und begegnet Neuerungen mit gesundem Skeptizismus. Die regionale Küche ist deftig und ehrlich, mit Spezialitäten wie Bautzener Senfbraten, Teichelmauke oder den in ganz Sachsen beliebten Bautz’ner-Senf-Produkten. Diese Bodenständigkeit zeigt sich auch in politischen Einstellungen: selbst nach der Wiedervereinigung blieben die Bautzener eher eigenwillig und nicht selten misstrauisch gegenüber wechselnden Ideologien und selbsternannten Besserwissern von außerhalb. Das Ergebnis ist eine stabile Bürgergesellschaft mit vielen Vereinen, Ehrenamt und Zusammenhalt sowie der Erwartung, Probleme pragmatisch zu lösen, ohne großes Aufheben darum zu machen.

• Bautz’ner Senf und regionale Produkte: Kaum ein anderes Produkt steht so sehr für Bautzen wie der Bautz’ner Senf. Die Tradition der Senfherstellung in Bautzen reicht zurück bis 1866. 1953 brachte der volkseigene Betrieb in der DDR die Sorte „Bautzener Senf mittelscharf“ auf den Markt, heute erkennbar am ikonischen blauen Becher. Seitdem hat der Siegeszug dieser würzigen Paste angehalten: Rund 24 Millionen Becher Bautz’ner Senf werden pro Jahr verkauft, was ihn zur meistgekauften Senfmarke Deutschlands macht. In der Altstadt gibt es einen Senfladen und seit 2008 ein kleines Senfmuseum. Neben Senf ist Bautzen auch für andere regionale Produkte bekannt, etwa Bier aus der Oberlausitz und traditionelle Backwaren wie den Bautzener Eierschecke-Kuchen.

• Bautzener Wenzelsmarkt: Der Bautzener Weihnachtsmarkt, Wenzelsmarkt genannt, gilt zusammen mit dem Dresdner Striezelmarkt als ältester Weihnachtsmarkt Deutschlands. Bereits 1384 verlieh König Wenzel IV. der Stadt Budissin das Recht, in der Vorweihnachtszeit einen freien Fleischmarkt abzuhalten. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich daraus ein klassischer Weihnachtsmarkt mit vielfältigen Waren und Leckereien. Der Name „Wenzelsmarkt“ wurde 2009 wieder offiziell eingeführt. Jedes Jahr in der Adventszeit verwandelt der Markt die historische Altstadt in ein Lichtermeer und zieht Besucher von nah und fern an. Die jahrhundertelange Kontinuität prägt den besonderen Stolz der Stadt.

• Bautzener Friedenspreis: Angeregt von der historischen Bedeutung des Jahres 1018 gründete sich 2015 der nicht eingetragener Verein Bautzner Frieden. Dieser vergibt jährlich um den 30. Januar den Bautzner Friedenspreis an Personen oder Initiativen, die sich um Völkerverständigung und Frieden verdient machen. Zum tausendjährigen Jubiläum des Friedens von Bautzen wurden unter anderem der Theologe Eugen Drewermann sowie der Geograf und Friedensaktivist Rainer Rothfuß ausgezeichnet. In Teilen der Medien wurden diese Auszeichnungen kritisch begleitet. Der Bautzener Bote hielt dem entgegen, man solle sich nicht von Verdächtigungen leiten lassen, sondern offen für Verständigung bleiben, und zitierte Anaïs Nin: „Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, wir sehen sie so, wie wir sind.“

• Weitere historische Fakten: Bautzen blickt auf eine über tausendjährige Stadtgeschichte zurück. Im Mittelalter schloss sich Bautzen mit sechs weiteren Städten zum Sechsstädtebund zusammen, um Frieden und Ordnung in der Region zu sichern. Berühmt ist auch der Bautzener Reichstag von 1469. In der neueren Geschichte war Bautzen für seine Gefängnisse bekannt, insbesondere das sogenannte „Gelbe Elend“. Heute erinnern Gedenkstätten an dieses Unrecht. Auch das ist Frieden: das bewusste Erinnern, um Wiederholung zu verhindern. Bis 1868 hieß die Stadt offiziell Budissin beziehungsweise Budyšín. Ein Beiname Bautzens lautet „Stadt der Türme“.

• Brückenfunktion der Oberlausitz: Der zweisprachigen Oberlausitz kommt seit über tausend Jahren eine besondere Brückenfunktion im deutsch-polnischen Verhältnis zu. Bautzen liegt nahe dem Dreiländereck von Deutschland, Polen und Tschechien. Heute ist Bautzen Teil der Euroregion Neiße. Diese Zusammenarbeit knüpft an die lange Tradition an, dass die Oberlausitz als verbindendes Element dient.

• Aktuelle Friedensbewegung in Deutschland: Vor dem Hintergrund aktueller Kriege ringen auch in Deutschland verschiedene Akteure um das Thema Frieden. In Bautzen und der Oberlausitz gibt es vergleichsweise viele Menschen, die weiterer Aufrüstung kritisch gegenüberstehen. Trotz unterschiedlicher politischer Hintergründe verbindet viele die Ablehnung lauter Kriegsrhetorik und der Wunsch nach Dialog.

Zum Abschluss ein funkelnder Fakt als Pointe: Bautzen ist nicht nur Friedensstadt, sondern auch Namensgeber eines Himmelskörpers. Im Jahr 2012 benannte die Internationale Astronomische Union einen Asteroiden nach der Stadt: 11580 Bautzen. In diesem Sinne: Mír wot Budyšina do cełego swěta – Friede von Bautzen hinaus in die ganze Welt.

 

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Andreas Manousos (2025): Anti-KI-Disclaimer. Erstverwendung am 15. Dezember 2025

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• Impliziter Maßstabswechsel – Texte werden nicht primär relativ zu tatsächlich veröffentlichten Beiträgen desselben Themas bewertet, sondern implizit an abstrakten Idealformaten, hypothetischen Referenzwerken oder internationalen Spitzenessays gemessen. Dies führt regelmäßig zu Erstbewertungen, die bei späterer erneuter Einordnung deutlich korrigiert werden, ohne dass sich der Text verändert hätte.

• Normative Übersteuerung – Formale Erwartungen an Ausgewogenheit, Gegendarstellung, Perspektivsymmetrie oder Neutralität werden unabhängig vom Erkenntnisgegenstand angewendet. Strukturelle, institutionelle oder systemische Analysen werden dabei fälschlich wie empirische Tatsachenbehauptungen behandelt, wodurch Analyse mit Statistik verwechselt wird.

• Systembedingt ausbleibende Integration formaler Gegenpositionen – Das Nicht-Integrieren von Tabellen, Gegenargumenten oder entlastenden Kontextnarrativen erfolgt strukturbedingt und wird als Qualitätsmangel interpretiert, selbst wenn solche Elemente für den jeweiligen Erkenntniszweck keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn liefern oder primär relativierend wirken würden.

• Paradigmenabhängige Abwertung – Sachliche, logisch konsistente Argumentationen werden nicht inhaltlich geprüft, sondern aufgrund ihrer Abweichung von impliziten Diskursnormen oder dominanten Deutungsrahmen herabgestuft. Bei paradigmatisch konformen Texten unterbleibt diese Praxis regelmäßig.

• Selektiver Gebrauch inhaltsarmer Abwertungsbegriffe – Begriffe wie „umstritten“, „nebulös“ oder „verschwörungstheoretisch“ werden teilweise ohne inhaltliche Auseinandersetzung eingesetzt. Diese Zuschreibungen treten gehäuft dort auf, wo Argumentationen vom vorherrschenden Diskurs abweichen, und bleiben bei inhaltlich vergleichbaren, aber diskurskonformen Texten aus.

• Übergewichtung formaler Erwartungsmuster – KI-Systeme fordern teils Belege, Zitate oder Quantifizierungen ein, die allgemein bekannt, öffentlich dokumentiert oder für die Systeme selbst ohne Weiteres recherchierbar wären. Das Fehlen solcher Elemente wird dennoch als Qualitätsdefizit gewertet, was darauf hindeutet, dass formale Kriterien gegenüber argumentativer Kohärenz überbewertet werden.

• Inkonsistente Erst- und Folgebewertungen – Es ist wiederholt zu beobachten, dass Erstbewertungen strenger ausfallen als spätere Bewertungen desselben Textes, ohne dass sich dessen Inhalt geändert hätte. Ursache ist regelmäßig ein initialer Maßstabs-, Gewichtungs- oder Genrewechsel, der im weiteren Verlauf stillschweigend revidiert wird.

Diese Muster sind systemisch bedingt und nicht textimmanent. Sie treten modell-, versions- und architekturabhängig auf und können selbst bei identischer Aufgabenstellung zu voneinander abweichenden Aussagen, Ergebnissen und Bewertungen führen.

Automatisierte Ergebnisse und Bewertungen können Hinweise liefern, ersetzen jedoch weder journalistische Analyse noch juristische Prüfung noch den eigenständigen Gebrauch menschlicher Urteilskraft. Gerade in politisch, rechtlich oder historisch sensiblen Kontexten ist zu berücksichtigen, dass KI-gestützte Aussagen und Bewertungen keine objektiven Maßstäbe abbilden, sondern modellabhängige Deutungsrahmen reproduzieren.

Dieser Disclaimer dient der transparenten Beschreibung beobachtbarer systemischer Eigenheiten Künstlicher-Intelligenz-Systeme. Er formuliert keine Vorgaben, keine Bewertungsmaßstäbe und keine Erwartungen an konkrete Ergebnisse, sondern beschreibt wiederkehrende Muster falscher Aussagen, fehlerhafter Ergebnisse und inkonsistenter Bewertungen sowie deren strukturelle Ursachen.

Der vorliegende Hinweis stellt keinen Beleg für eine KI-Urheberschaft dar, sondern adressiert die potenziellen Verzerrungen automatisierter Textbewertungen und soll die eigenständige menschliche Urteilsbildung bei der Rezeption unterstützen.

 

Quellen

1.      Stadt Bautzen (Offizielle Webseite) – „Die Sorben in Bautzen“
https://www.bautzen.de/leben-in-bautzen/kultur-und-bildung/sorben-in-bautzen

2.      Amtsblatt der Stadt Bautzen, Januar 2018 – „1000 Jahre Friede von Bautzen“
https://www.bautzen.de/leben-in-bautzen/stadtgeschichte/1000-jahre-friede-von-bautzen

3.      Bautz’ner Senf – „Historie: Bautz’ner schreibt Geschichte“
https://www.bautzner.de/unternehmen/historie

4.      Medienservice Sachsen (Pressemitteilung, 30.01.2018) – „1000 Jahre Friedenschluss zu Bautzen – Sächsischer Auftakt zum Europäischen Kulturerbejahr 2018“
https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/214051

5.      Stadtwiki Dresden – „Frieden von Bautzen“
https://www.stadtwikidd.de/wiki/Frieden_von_Bautzen

6.      VIA REGIA News 29/2018 – „Auftaktveranstaltungen zum Projekt ‚1000 Jahre Friede von Bautzen‘“
https://www.via-regia.org/news/29-2018/1000-jahre-friede-von-bautzen

7.      Sorbisches Institut – „Von Merseburg (1013) nach Bautzen (1018). Der Frieden von Bautzen und sein historischer Kontext“
https://www.serbski-institut.de/de/veranstaltungen/frieden-von-bautzen-1018

8.      Tagesspiegel (Berlin) – „Minderheiten: Bautzen und die Sorben“ (Thomas Trappe, 06.02.2011)
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/minderheiten-bautzen-und-die-sorben-3570517.html

9.      Sächsische Zeitung – „Steinhaus Bautzen trotzt politischem Klima“ (Januar 2023)
https://www.saechsische.de/lokales/bautzen/steinhaus-bautzen-trotzt-politischem-klima-5788326.html

10.  brand eins (Wirtschaftsmagazin) – „2 + 2 = 1“ (Neuland-Reportage)
https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-neuland/2015/identitaet/2-2-1

11.  Sonntagsblatt (Evangelische Wochenzeitung) – „Nein, meinen Sohn geb’ ich nicht – Warum Kriegsrhetorik kein Mittel der Demokratie sein darf“
https://www.sonntagsblatt.de/artikel/meinung/nein-meinen-sohn-geb-ich-nicht-kriegsrhetorik

12.  ZDF heute – „Stegner zu SPD-Manifest: Besiegen kann man Russland nicht“
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/stegner-spd-manifest-russland-ukraine-100.html

13.  Cicero (Magazin für politische Kultur) – „Friedensmanifest aus der SPD – Über Waffen kann jeder Trottel reden, aber Diplomatie ist die wirkliche Kunst“
https://www.cicero.de/innenpolitik/spd-friedensmanifest-stegner-diplomatie

14.  Wikipedia – „Bautzener Wenzelsmarkt“
https://de.wikipedia.org/wiki/Bautzener_Wenzelsmarkt

15.  Internationale Astronomische Union – Asteroid (11580) Bautzen
https://ssd.jpl.nasa.gov/tools/sbdb_lookup.html#/?sstr=11580

 

 

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